Dunkler Sinn. Mehrdeutigkeiten und poetische Dunkelheit in mittelhochdeutscher Kleinepik
Call for Papers
Panel auf dem 27. Deutschen Germanistentag (120 Min.): Themenbereich 1: Theoretische und methodische Zugänge, 25.–28. September 2022 an der Universität Paderborn
Konzept und Organisation: Dr. Mareike von Müller (Germanistische Mediävistik, Göttingen; Vorstandsmitglied von Brevitas. Gesellschaft zur Erforschung vormoderner Kleinepik e.V.)
Dunkle Metaphern, lebendige Sprichwörter und verselbstständigte Körperteile gehören zu den Absonderlichkeiten mittelhochdeutscher Kleinepik, deren notorisches Sinnproblem sich ganz wesentlich aus kunstvoll erzeugten Mehrdeutigkeiten speist. Viele Texte geben etwa vor, einen moraldidaktischen (Grubmüller 2006) oder praxeologischen Sinn (Hübner 2012) zu vermitteln, um dann auf inhaltlicher und diskursiver Ebene gezielt Störelemente zu installieren, die der Sinnproduktion entgegenlaufen. Der spezielle Reiz der Texte zeugt dabei allerdings nicht von Chaos oder Sinnlosigkeit (Haug 1993). Ihre ästhetische Eigenart beruht vielmehr auf dem spannungsvollen Gegeneinander sinnstiftender und sinnirritierender Komponenten.
Das Panel möchte Gelegenheit bieten, das wohlkalkulierte Changieren zwischen Sinnhaftigkeit, Mehrdeutigkeit und poetischer Dunkelheit genauer zu konturieren. Dabei wären die Strategien, die diesem Changieren zugrunde liegen, über das Wechselverhältnis von Rhetorik, Narration und Sinnbildung näher zu bestimmen. Die antike Rhetorik kennt Dunkelheit (obscuritas) als Fehler, den es zu vermeiden gilt, der aber in Ausnahmefällen der Dichtung als ornatus auch ästhetischen Zwecken dienen kann (Quintilian). Zugleich zeigen einige Texte Überschneidungen mit den Strategien des modernen Nonsens (Köhler 1989), der ähnlich wie antike Vorstellungen von obscuritas mit der Provokation von Mehrdeutigkeiten operiert. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Engführungen zwischen antiker Rhetorik und moderner Theoriebildung vielversprechend.
Die mhd. Kleinepik modelliert unterschiedliche Spielarten poetischer Dunkelheit auf begrenztem Raum und macht sie in prägnanter Weise anschaulich. Für das Panel werden daher Beiträger*innen gesucht, die das besondere Aufschlusspotential kleinepischer Texte für die Suche nach Strategien poetischer Sinnverdunkelung herausarbeiten. Mögliche thematische Schwerpunkte können a) auf den theoretischen und methodischen Voraussetzungen von Mehrdeutigkeit und Dunkelheit liegen (so wäre etwa zu fragen, wie sich Mehrdeutigkeit und Dunkelheit voneinander unterscheiden lassen, wie die historische Dimension poetischer Dunkelheit profiliert werden kann und welchen spezifischen Herausforderung eine mediävistische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex begegnen muss), b) die konkreten narrativen und rhetorischen Strategien zur Erzeugung von poetischer Dunkelheit herausarbeiten, welche in kleinepischen Texten Anwendung finden (Serialität, [Anti-]Pointe, dunkle Metaphorik u.a.) oder sich c) genretypischen Differenzen und Analogien widmen (wie wird Dunkelheit im Märe, Schwank, Spruch, Rätsel und der Legende erzeugt? Wo sind Interferenzerscheinungen zu beobachten?). Weitere Themenvorschläge sind sehr willkommen.
Erbeten werden Vorschläge für Vorträge (à 20 Min.) in Form von Abstracts (max. 300 Wörter) sowie eine Kurzbiographie (max. 400 Wörter). Beiträge von Nachwuchswissenschaftler*innen sind ausdrücklich erwünscht. Bitte senden Sie Abstract und CV bis zum 01. Juli 2021 vorzugsweise per Email an Mareike von Müller: mareike.mueller-von@phil.uni-goettingen.de oder mmuelle9@gwdg.de.